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Nicht alles ist Psyche – aber alles kann Psyche werden

„Du bist doch Psychologe? Dann kümmerst du dich doch um die Psyche, oder?“

Ja… und nein.

 

Denn Psychologie ist weit mehr als nur „die Psyche“. Schon im Studium lernen wir:

Psychologie ist die wissenschaftliche Erforschung des Erlebens, Verhaltens und der Wahrnehmung des Menschen.

 

Klingt erstmal abstrakt – ist aber im Alltag hoch relevant. Denn: Menschliches Verhalten ist nie nur „Kopf“. Es ist immer auch Körper. Immer auch Umwelt. Und manchmal eben: alles zusammen.

 

Lernen ist nicht nur Wollen – sondern auch Können

 

In meiner Arbeit mit Kindern, die schulische Schwierigkeiten haben, ist dieser ganzheitliche Blick entscheidend.

Ich gehe davon aus: Kinder wollen lernen. Wirklich.

Aber viele können es nicht – obwohl sie wollen. Und das hat häufig ganz andere Ursachen, als man auf den ersten Blick denkt.

 

Körperliche Faktoren? Unbedingt!

 

Einige Kinder haben zum Beispiel:

 

Zu hohe oder zu niedrige Körperspannung – das erschwert Konzentration und Sitzhaltung.

Feinmotorische Probleme – sie drücken zu stark auf den Stift, Schreiben wird zur Anstrengung.

Auffälligkeiten in der Augenmotorik – das erschwert das flüssige Lesen. Lesesprünge („Sakkaden“) funktionieren nicht.

Schwierigkeiten in der auditiven Wahrnehmung – z. B. bei AVWS (Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung). Das Zuhören in der Klasse wird zur echten Herausforderung.

Probleme in der visuellen Wahrnehmung – etwa durch Winkelfehlsichtigkeit oder das Irlen-Syndrom. Betroffene Kinder sehen oft unscharf, verzerrt oder/und sind stark lichtempfindlich – ohne es zu wissen. Denn: Wie soll man beschreiben, dass etwas "anders" ist, wenn man es nie anders erlebt hat?

 

Wenn der Körper nicht mitspielt – leidet die Psyche

All diese körperlich basierten Schwierigkeiten bleiben oft unerkannt.

Die Folge? Frust. Selbstzweifel. Vergleich mit anderen („Warum geht das bei denen leichter?“).

Dann rückt sie doch ins Zentrum: die Psyche.

Denn was körperlich beginnt, kann psychisch enden.

 

Und ja, natürlich gibt es auch die „klassischen“ psychischen Belastungen: Trennung der Eltern, Tod, Mobbing, Überforderung. Auch diese Themen beeinträchtigen Lernen massiv.

 

Aber: Nicht jede Lernschwierigkeit braucht eine Psychotherapie.

Manchmal braucht es eine spezielle Ergotherapie, Logopädie, Osteopathie, Optometrie, Sehtraining oder Hörtraining. Und manchmal: einfach Verständnis.

 

Mein Ansatz: über den Tellerrand

Ich sehe meine Aufgabe nicht darin, Kinder vorschnell in Diagnosen zu pressen.

Sondern zu fragen: Was steckt wirklich dahinter?

Was ist die Ursache – und was braucht dieses Kind wirklich?

 

Denn: Nicht alles ist Psyche.

Aber fast alles kann psychische Folgen haben, wenn wir nicht genau hinschauen.